The Vision of my Version
Das zweite Buch
9.
Schlangen
können sehr überzeugend sein ...
In dem Königreich namens Gwynedd - was weit vor unserer Zeit noch existierte -, wo der Königs Maredudd ap Owain regierte, waren die Taschenspielertricks weit verbreitet. Ein Junge von fünf Jahren könnte einem bereits die Butter vom Brot stehlen und die anderen Fürstentümer lachten das Königreich Gwynedd aus.
Und da dachte sich einst ein Zauberer, der ebenfalls davon hörte: Wenn dort so viel gestohlen wird und niemand gefasst wird, dann muss da Magie mit im Spiel sein.
In einem Dorf schlich ein junger Mann eilig durch die Menge, die einem Botschafter ihres Königs lauschte. Dieser verlas die üblichen Verwarnungen, was geschehen würde, wenn man beim Stehlen erwischt wurde. Darunter waren Methoden wie "Hand abhacken", "Zweite Hand abhacken", "Füße abhacken" und merkwürdiger Weise hatte der König auch eine sehr ungewöhnliche Maßnahme eingeführt - kleinen Jungen wollten sie die Nase abhacken.
Der junge Mann lauschte nur mit einem Ohr. Er kannte die Predigt. Und sie war ihm jedesmal äußerst nützlich.
Er trug braune, recht zerlumpte Leinen und eine Weste mit schwarzem Schafsfell. Sein langes Haar war von einem hellem Brünett und war zu einem Zopf gebunden. Es fiel ihm wellig den Rücken herunter.
Immer wieder hielt der junge Mann inne und tat, als würde er zuhören. Niemand bemerkte, wie ein unsichtbarer Arm durch die Menge kroch, einer Schlange gleich. Dieser Arm glitt ab und zu in fremde Westen- und Hosen-Taschen und ergriff mit der ebenso unsichtbaren Hand das Wertvollste, was er ertasten konnte und zog sich dann wieder zu seinem Besitzer zurück.
Er ahnte ja nicht, dass ihm bald ein großer Neuanfang bevorstand.
Ein gewisser Vermummter hatte es währenddessen nicht zu hoffen gewagt; nach langem Herumfragen erzählte ihm schließlich ein altes Weib, dass eine Frau namens Gwen hier ganz in der Nähe wohnte. Sie sei sich jedoch nicht sicher, ob er wirklich dorthin wolle, denn es sei der ärmlichste Teil des Dorfes.
Er hatte lange gesucht, hatte die Spuren von seinem alten Heim bis hin zum Königreich Gwynedd verfolgt und nun war er in diesem riesigen Dorf angelangt.
Salazar Slytherin klopfte an die Tür einer kleinen, recht heruntergekommenen Hütte. Niemand öffnete.
Er verschaffte sich Zutritt und sah sich um. Man musste schon fast ein wenig den Kopf ducken, um sich sicher fortbewegen zu können. Er hörte jemanden husten.
Dem Geräusch folgend, erreichte er einen Bereich der Hütte, der mit einem sehr dünnem Vorhang verhangen war.
Vorsichtig hob er ihn bei Seite. Gwen, die Frau seines ermordeten Bruders, lag da auf einem Bett. Sie sah sehr erschöpft aus und ihre Stirn glänzte vor Fieberschweiß.
Sie warf ihm einen müden Blick zu und ein erstaunter Seufzer entglitt ihr.
"Serpens ...?"
"Nein ... aber Salazar." Sagte er und setzte sich zu ihr. Besorgt musterte er ihren Zustand. War es Schwindsucht ...?
"Du?" fragte Gwen und in ihren Augen sammelten sich Tränen. Sie richtete sich auf und umarmte ihn. "Ich dachte, du wärest tot ..." weinte sie.
"Nein ... Großvater hatte mich aufgenommen. Ich bin sein Erbe, wie du weißt ..." Er strich durch das rotblonde Haar von Gwen.
"Großvater Slytherin? Wie geht es ihm?" fragte sie.
Salazar seufzte. "Es gibt nur noch dich und mich ... und was ist mit Patrick?"
"Er muss unterwegs sein. Er ist seinem Vater so ähnlich ... und doch weiß er nichts besseres, als zu stehlen. Er ist ein klein wenig törricht, aber das ist nur, seit dem er weiß, dass er wirklich ..."
"Er ist kein Bastard, Gwen ... Wenn er einer ist, dann wäre Serpens ein verantwortungsloser Mann gewesen, der euch verlassen hätte. Aber er ist gestorben ... durch die Hände der verdammten Muggel."
Gwen nickte. "Er ist traurig. Kein Mädchen darf ihn auch nur anschauen, weil die Väter ihn für Abschaum halten. Dabei hatte er, als er klein war, so viel Spaß mit ihnen."
"Du meinst, er ist ein Rockfänger?" grinste Salazar.
"Vielleicht ... aber damals haben die Jungen ihn alle gemieden. Ich weiß nicht, warum ..." Gwen lächelte. "Gott muss dich zu uns geschickt haben ..." sagte sie und legte glücklich ihre Hand auf die seine. Dann jedoch musste sie erneut husten.
Salazars Vermutung bestätigte sich, als Gwen ihr eigenes Blut aushustete.
"Ich werde sterben ..." sagte sie nach langem Schweigen.
"Daran darfst du nicht einmal denken." Sagte Salazar.
"Es ist aber so ... Salazar, ich habe Patrick viel zu wenig Hexenkunst beibringen können."
"Nun ... drei mal darfst du raten, warum ich hier bin."
Gwen lächelte. "Wer hätte gedacht, dass so ein weiser Mann aus dem kleinen Jungen wird, der immer hinter seinem großen Bruder hinterherlief."
"Das nehme ich als Kompliment!" Beide lachten, allerdings verfiel Gwen erneut ins Husten.
Aber sie wirkte auf einmal viel lebendiger und glücklicher.
"Ich bin wieder da." Sagte jemand hinter dem Vorhang.
"Das ist er ..." sprach Gwen mit heiserer Stimme.
Salazar wandte sich um, genau in dem Augenblick, als ein hellbrünneter junger Mann mit sperrlichem Bart den Vorhang hob. Er sah Salazar überrascht entgegen.
"Patrick, das ist Salazar. Er ist dein Onkel." Sagte Gwen.
Patrick verfiel ins Starren.
"Guten Tag, Patrick." Sagte Salazar und streckte ihm die Hand entgegen.
Patricks Blick verfinsterte sich und wandte sich zum Gehen um.
"Patrick, komm zurück...!" flehte Gwen.
"Ich mach das schon." Sagte Salazar und folgte ihm.
Patrick saß an einer kleinen Feuerstelle und stocherte in ihr herum, um die kleine Flamme wieder in Gang zu kriegen.
"Was wollt Ihr hier?" fragte Patrick, als Salazar näher trat.
"Du kannst mich ruhig duzen." Sagte er und setzte sich zu ihm.
"Ich kenne Euch aber nicht!" fuhr Patrick ihn an und seine Augen blitzten.
"Aber ich kenne dich ... ich habe dir mal die Windeln gewechselt. Natürlich nicht ohne Hilfe ... aber ..."
"Ich war ein Baby! Und alle Babys sind gleich!" sagte Patrick und wandte sich wieder der Feuerstelle hinzu. "Auch wenn das manche zu bezweifeln scheinen ..."
Salazar vermutete, dass Patrick darauf anspielte, nicht getauft worden zu sein. Gwen musste es ihm erzählt haben.
"Hmhm ... ich verstehe, was du meinst, Patrick. Dennoch ... möchte ich jetzt gerne über etwas anderes mit dir reden. Ich bin gekommen, um dich einzuladen mit mir zu gehen."
"Was wollt Ihr überhaupt hier!? Jetzt?! Nach all den Jahren?!!! Und warum, um alles in der Welt, sollte ich das tun? Mit euch gehen! Pah!" knurrte sein Neffe.
"Damit du die Kunst der Zauberei erlernst. Und dies nicht nur bei Taschenspielerei auslebst."
Patrick sah ihn wütend an.
"Es ist meiner Meinung nach vergeudetes Talent. Du bist zwar schon ... wie alt bist du? 20? So drumherum nicht wahr?"
"18 ..." sagte Patrick mit unheilverkündendem Knurren.
"18, also schon erwachsen." Sagte Salazar und ließ sich nichts anmerken. "Aber man lernt nie aus. Ich bitte dich! Nicht nur um meinetwillen, sondern auch um deinetwillen! Und letztendlich, weil es der Wunsch deines Vaters gewesen wäre."
Er musterte den Sohn von Serpens, Patrick, genauer ... Er war ihm so verdammt ähnlich.
"Und es wäre mir zudem eine große Ehre, den Sohn meines Bruders unterrichten zu dürfen."
Patrick schwieg und blickte in die kleine Flamme.
"Es werden die verschiedensten Leute dort sein, wohin ich dich mitnehmen will. Es werden Leute sein, die dasselbe Talent haben wie du." Sagte Salazar. "Und ich bin mir sicher, du wirst es besser haben, als in Gwynedd. Du wirst nicht alleine sein, wenn du die Zauberei erlernst."
"Ich habe kein Talent. Meine Zauberei reicht gerade mal für´s Stehlen." Knurrte Patrick.
Salazar lächelte und blickte sich um. Er nahm einen Ast, der neben der Feuerstelle lag. Er musterte ihn und murmelte leise: "Ligneus Serpens".
Verwirrt sah Patrick ihn an, als sich plötzlich eine Schlange um Salazars Handgelenk windete.
Und es wurde noch verrückter! Er hörte sie sagen: "Vielen Dank für das Leben, was du mir schenkst. Was kann ich für dich tun?"
"Du kannst meinem Neffen beweisen, dass er das Zeug zum Zauberer hat." Antwortete Salazar und hatte Mühe, sich ein Grinsen zu verkneifen. Seine Stimme hatte sich verändert. Er flüsterte oder besser, er zischte.
Genau wie die Schlange.
Sie blickte ihn an. "Wenn es weiter nichts ist ..." zischte sie belustigt und kroch darauf näher auf Patrick zu.
Dieser wich verängstigt zurück. Sie folgte, bis er an der Wand angekommen und sie gleichauf mit seinen Augen war.
"Kannst du mich verstehen...?" fragte sie und kicherte.
"J-ja ... kann ich." Sagte er zögernd und starrte sie angstvoll an.
"Keine Angst! Ich bin nicht giftig ... jedenfalls nicht sehr ..."
Sie kicherte erneut und blickte zu dem zurück, der sie zum Leben erweckt hatte. "Er ist ziemlich schüchtern, nicht wahr?"
"Das stimmt nicht!" sagte Patrick entrüstet.
Die Schlange lachte ihn nun aus. "Oh ja, natürlich!"
"Ich denke, das genügt ... Finite Incantatem." Sagte Salazar und die Schlange war plötzlich wieder der krumme Ast, der am Feuer gelegen hatte.
"Was war das?" fragte Patrick. "Wieso konnte ich sie verstehen?"
"Weil du Parsel beherrscht. Das ist die Sprache, die sie verstehen."
Salazar war froh, das Interesse seines Neffen nun angefacht zu haben. Er konnte förmlich die Neugier sehen, dieselbe die er auch bei Godric einst gesehen hatte.
"Wusstest du, dass Schlangen eigentlich taub sind ...?"
Patrick schüttelte den Kopf und dachte nach ...
"Dieses Parsel ... konnte mein Vater das auch?"
"Und noch viel mehr! Unsere Mutter hat uns zum Beispiel beigebracht, wie wir das Gift der Schlangen melken, um Heiltränke herzustellen. Am Lustigsten war es, wenn die Schlangen dabei versuchten, ein kleines Pläuschchen mit uns zu halten. Man konnte sie kaum verstehen!"
Zum ersten Mal erschien ein Lächeln auf Patricks Gesicht. "War mein Vater ein guter Mensch? Meiner Mutter kann ich nicht glauben, sie war verliebt in ihn ..."
Salazar lachte leise. "Du hast vielleicht Vorstellungen ... Aber dennoch, Patrick ... Serpens war ein wirklich toller Mensch. Er hat sich für dich eingesetzt, er hat sich für mich eingesetzt, war hilfsbereit und klug."
"Also hat er den Tod nicht verdient ..." sagte Patrick leise.
"Nein ... aber er wurde erlöst." Lächelte Salazar. "Er hat seinen Frieden gefunden."
"Das ist gut ..." sagte Patrick leise. Jetzt, wo sie langsam in Gesprächs kamen, wurde Patrick für Salazar immer offener. Ihm tat es gut, dass er etwas Gutes über seinen Vater hörte.
Und schließlich sagte er: "Wenn es der Wunsch meines Vaters war ... werde ich mit dir gehen.
Mutter?" fragte er schließlich und blickte zum Vorhang. Er erhielt keine Antwort.
Patrick stand auf und hob ihn hoch. "Mutter?!" Er verschwand dahinter.
Salazar hörte, wie etwas dumpf zu Boden ging. Er ahnte schlimmes ...
Langsam erhob er sich, gesellte sich zu Patrick, der vor dem Lager seiner Mutter auf die Knie gefallen war. Salazar legte eine Hand auf seine Schulter. Gewiss, er spührte die Anwesenheit des Gevaters und senkte sein Haupt. Manchmal zeigte sich ihm sein Meister, manchmal nicht ...
Patrick hielt die Hand seiner Mutter und schüttelte den Kopf. "Warum jetzt ... warum musst du ausgerechnet jetzt gehen! Bleib doch ..."
Doch Gwen Slytherin, die Frau von Serpens Slytherin war bereits friedlich eingeschlafen.