The Vision of my Version
5.
Die Eule soll unser Führer sein ...
Am nächsten Morgen sah Helga verdutzt auf Salazars leere Bettrolle. Ein Gefühl sagte ihr, dass etwas nicht stimmte, dass etwas nicht sein sollte.
„Nein!“
Sie fuhr zusammen, drehte sich um und erkannte, dass Godric – mal wieder – einen Alptraum hatte. Seufzend strich sie ihm durchs Haar und flüsterte ihm beruhigende Worte zu, wie sie es schon oft getan hatte.
Ein Löwengähnen, ein Bärenkgrunzen und der Zauberer schlug die Augen auf.
„Was is` denn nun los ...? Wo is` die alte Vettel ...?“
Helga lachte lauthals und herzensgut. „Godric, du hast geträumt! Aber Salazar ist verschwunden ...“
Godric murrte. „Seit wann wundert dich das?“ Er stützte den Kopf lässig auf seinen Arm und gähnte erneut. „Als wir unter dem Sumpf übernachteten ... da war er doch auch ständig vor uns aufgestanden.“
„Weil er seine Arbeit weiter verfolgen wollte. Godric, ich mach mir Sorgen!“
Er nickte langsam, sah sie gedankenverloren an und überlegte. Dann sah er plötzlich über ihre Schulter hinweg. „Heiliger BimBam ...“
Helga runzelte die Stirn und folgte seinem Blick. Da kamen zwei Gestalten den Hügel herunter, nein, nicht nur zwei Gestalten! Sondern Salazar mit einer umwerfend hübschen Frau an der Hand.
Godric schaute nicht schlecht. „... was für ein Weibsbild ist das?“
Mit gemischten Gefühlen wurde Roweana Ravenclaw bei den Reisenden aufgenommen. Sie hatte etwas an sich, dem man nicht wiederstehen konnte. Etwas absolut abgrundtief Liebenswertes. Gemeinsam konnte man mit ihr lachen, gemeinsam mit ihr gedankenverloren Geschichten lauschen und sich von ihr welche erzählen lassen.
Mit Roweana Ravenclaw hatten die drei anderen eine Freundin dazugewonnen, die sie wirklich niemals vergessen würden.
Die Mutter Roweanas wurde von Salazar persönlich bestattet, Helga hatte ihr einen kleinen Blumenkranz geflochten, während Godric ein kleines Kreuz bearbeitet hatte.
„Ich danke euch, Freunde. Ihr habt mir sehr geholfen ...“ die Wangen der jungen Frau liefen rot an, was Salazar zum lächeln brachte. „Ich weiß nur nicht, wo ich nun hin gehen sollte ...“
„Dann komm doch mit uns! Ein bisschen die Welt sehen!“ grinste Godric und stieß Helga ein wenig mit seinem Ellenbogen an.
„Ja, die Welt sehen ...“ lächelte Helga. Sie war sich unsicher, was Roweana betraf, dennoch ließ sie sich mitreißen.
„Würde ich euch denn auch nicht stören?“
„Ach, wo denkst du hin? Wir brauchen jemanden wie dich, hier ...“ bestätigte Salazar. Helga bemerkte seinen leicht verträumten Blick, als er Roweana ansah und rasch begriff sie, was geschehen war. Er hatte sein Herz bei ihr verloren ...
Ein Lächeln der Erkenntnis machte sich auf Helgas Gesicht breit und sie machte keine Anstalten es Godric mitzuteilen, denn dieser sollte es selbst herausfinden.
Ein leises „Schuchuh...“ ließ alle vier aufschauen. Die Eule der alten Hexe lebte noch, ein Auge ihrerseits war blind.
Roweanas Blick verfinsterte sich für einen Moment ...
„Seit wann fliegen Eulen bei Tag?“ wunderte Helga sich.
„Das ist keine gewöhnliche Eule.“ Belehrte Roweana sie. „Das ist die Eule meiner Mutter ...“
Die Eule deutete an, indem sie Kreise um sie herum zog, ihnen zu folgen.
„Sollen wir ...?“ murmelte Godric verwundert.
„Was hält uns auf?“ fragte Salazar.
Die vier sahen sich an, nickten sich zu und packten zusammen. Roweana führte sie zu ihrem Zigeunerwagen, der von Zauberhand gefahren wurde, im wahrsten Sinne des Wortes.
Als sie ihre Sachen im Wagen verstaut hatten, setzte Godric sich zu Roweana auf den Kutschbock, war neugierig auf die Zauberei, die ihn hier erwartete.
Roweana hob die Hand, für ein paar Momente umspielten blaue Funken ihre Hand, verblassten aber dann.
„Auf geht’s ...“ sagte sie lächelnd.
Der Wagen setzte sich in Bewegung, Helga begann im Wagen von neuem ihr Kleid zu nähen und Salazar vertiefte sich in ein paar Aufzeichnungen seines Großvaters, die er in seinem Reisesack mitgenommen hatte.
Die Eule flog vorraus, immer darauf achtend, dass sie nachkamen.
Wie sehr ich doch diese unbeschwerte Zeit vermisse. Roweana nahm den Tod ihrer Mutter sehr leicht, was meinerseits doch immer und immer wieder erstaunte und sie bewundern ließ. Meine Liebe zu ihr schien so wahr, schien so richtig ... und doch wurde mein Herz später bitter enttäuscht, nachdem wir getrennt auf Reisen gegangen waren. Doch das war an diesem Zeitpunkt noch eine Weile hin ...
Nun waren die vier Freunde schon ganze vier Monate auf Reisen, ohne Geld, ohne großartige Regeln, nein, es war eine unbeschwerte Zeit. Helga wusste, wie man in den Wäldern zu überleben hatte, fand die am schwersten zu findenden Waldbeeren, so dass sie niemals hungern brauchten. Godric machte ihnen öfters eine kleine Freude, indem er morgens ab und zu auf die Jagd ging mithilfe seiner eigenen Zauberkraft. Salazar bereitete ihnen Heiltränke, Zaubertränke und die schwierigste Medizin. In den Wäldern und auf ihrem restlichen Wegen gab es genug Schlangen, die er melken konnte. Er erinnerte sich noch genau daran, wie seine eigene Mutter jeden Tag mit ihnen zusammen die Heil-Utensilien für die Leute aus dem Dorf herstellte und ein wenig weh tat es ihm schon. Und dann war da noch Roweana, die ihren Wagen lenkte auf die sichersten Wege.
Die Eule gesellte sich abends, wenn sie am Lagerfeuer saßen, immer zu ihnen. So gütig, wie Helga war, hatte sie ihr fast immer ein paar Mäuse gefangen.
Doch dann, als sie eines morgens über einen weiten unbewachsenen Hügel fuhren, sahen sie ein paar Muggel des Weges kommen. Wie aus dem Nichts kamen sie von einem Wald heraus, schienen diesen aber nicht einmal zu realisieren! Die Eule flog vorraus in die Baumkronen und verschwand aus ihren Blicken.
Helga stieg aus dem Wagen und rannte vorraus.
„Was ist das für ein Wald?“ fragte sie die Muggel.
Verständnislos sahen die beiden älteren Herren sie an. „Von was für einen Wald redet Ihr?“ Sie blickten zurück, schienen durch ihn hindurch zu blicken. „Da ist kein Wald. Habt Ihr einen kranken Kopf, junges Fräulein?“
„Nein ... alles in Ordnung, keine Sorge!“ beeilte sie sich. „Trotzdem vielen Dank.“
Sie rannte zurück zu den anderen und Salazar sah neugierig aus dem kleinen Fenster. „Was gibt´s denn?“
„Ein Wald, direkt vor uns. Doch diese Wanderer ...“
„Welche Wanderer?“ fragte Salazar verwundert.
„Na diese Muggel, die ...“ Verwirrt sah Helga zu der Stelle, wo sie die beiden zuletzt sah. Sie waren weg ...
„Hmmm...“ Salazar kratzte sich am Kinn. „Sehen wir uns die Sache mal genauer an ...“
Sie passierten den Wald, der weit und endlos schien. Sie ließen den Wagen einsam zurück, suchten nach der Eule, die sie vorhin einfach zurückgelassen hatte.
„Merkwürdig, vorher hatte sie uns doch immer geführt.“ Murmelte Godric.
Immer weiter durchstreiften sie den Wald ... bis sie schließlich ein Grunzen hörten.
Verwirrt sahen sie sich an, entdeckten dann aber ein Wildschwein, das tollpatschig über die Wurzeln einer großen Eiche stolperte.
„Soll ich es erjagen?“ grinste Godric, der Gefallen an seiner Aufgabe gefunden hatte.
„Untersteh dich, Godric! Wir jagen nur, wenn es nötig ist!“ beschwichtigte Helga ihn, was ihr ein mitleidiges Lächeln Roweanas einhandelte.
„Dann hättest du das vorher auch bei den anderen Tieren sagen müssen, meine Liebe ...“
Helga Hufflepuff verschränkte die Arme, verzog den Mund etwas. Normalerweise hätte nun eine ganz bestimmte Hand auf ihrer Schulter gelegen, aber Salazar machte keine Anstalten dazu. Seufzend ging sie schließlich vorraus, das Schwein schien sie bemerkt zu haben.
Plötzlich wollte es fliehen!
Godric stürzte ihm nach. „Hinterher! Ich habe Hunger!“
Alle vier wurden von dieser Jagd mitgerissen, doch das Schwein erwischten sie nicht. Jeder von ihnen hatte Hunger, auch Helga machte zögernd mit.
Bis sie schließlich eine riesige Lichtung passierten ...
Das Wildschwein war verschwunden, aber stattdessen war ihnen etwas erschienen, was sie keinesfalls erwartet hätten ...
Vor ihnen lag ein prächtiges, riesenhaftes Schloss. Und davor ... ein riesiges Schlachtfeld, voller toter Menschen.
Als Salazar dies sah, konnte er sich nicht erinnern, jemals so viele Tote gesehen zu haben und das sollte schon was heißen.
„Diese armen Menschen, was ist hier geschehen?“ murmelte Helga.
Ein Rabe flog über das Schlachtfeld hinweg, landete dann sachte auf Roweanas Schulter. Sie strich sanft über sein Gefieder, ihre Miene rührte sich jedoch nicht. Helga bemerkte einen Hauch von Gleichgültigkeit, ja fast Belustigung in ihren Augen, was sie erschrecken ließ.
Salazar bewegte sich langsam auf die Leichen zu und musterte sie. Schwarze Umhänge, wie eine Art Uniform. Einige von ihnen hatten zerbrochene Masken neben sich liegen. Sie alle hatten erschöpfte Ausdrücke auf den Gesichtern, als seien sie froh gestorben zu sein, für etwas, das ihnen wichtig war, dass sie nicht ohne Grund gestorben sind.
Salazar seufzte, er mochte es nicht, die Tode der anderen zu deuten, aber es war nunmal eines seiner Talente. Wie lange sie wohl schon hier lagen? Ob der Gevater erst noch kommen musste? Um ihre Seelen zu holen?
Er spürte, wie die Flasche von Sadwrn begann warme und dan immer heißere Signale von sich zu geben. Der Verwesungsnebel wollte unbedingt raus, um seine Arbeit zutun.
„Noch nicht ...“ murmelte Salazar und strich sanft über den Hals der Flasche.
Er ging weiter, zögernd kamen die anderen hinterher. Godric schien sich sehr unsicher zu sein, was die Toten betraf.
„Oh gott ... die riechen grausam nach Tod ...“ murmelte er.
In der Tat, die Verwesung hatte schon eingesetzt, kein Wunder also, dass Sadwrn diesen Prozess unbedingt beschleunigen wollte. Salazar ließ sich bei dem Gestank nichts anmerken, er kannte ihn nur zu gut. Aber dieser war ihm wiederrum lieber als der Schwefel von damals ...
Roweana legte sich ein Taschentuch an Mund und Nase und schüttelte nur den Kopf. „Wie dumm von diesen Menschen ... prügeln sich doch tatsächlich zu Tode!“
Helga machte nichts dergleichen, sie war nahe dem Schloss stehengeblieben, betrachtete das Gesicht einer toten Frau, die ebenso rotes Haar hatte, wie sie.
„Freunde ... ich glaube, das alles hier sind welche wie wir ...“ sagte sie.
Salazar sah auf und nickte. „Gut beobachtet, Goldstück. Es sind weder Soldaten, noch Adlige noch Muggel ...“
„Und doch schienen sie zwei verschiedenen Einheiten anzugehören.“ Gab sie zu bedenken.
Salazar hörte sie jetzt doch nicht mehr. Er ging schnurstraks auf eine vermummte Gestalt zu, in einem schwarzem Umhang, die die anderen nicht sehen konnten. Sie stand neben zwei gefallenen Männern, deren Gesichtsausdrücke Hass und Verachtung ausdrückten.
Salazar verneigte sich vor dem Gevater. „Herr?“
Der Gevater nickte ihm zu, wies ihn mit einer leichenblassen, schmalen Hand an seine eigene auf die des einen zu legen, der da so lag. Vorsichtig hob Salazar die Kapuze des Zauberers noch etwas mehr an. Ein relativ junges Gesicht, schwarzes Haar, Augen hatte er noch schließen können.
Salazar legte die Hand auf dessen Stirn, wo merkwürdiger Weise ein Runenzeichen erkennbar war. Langsam, ganz langsam bildeten sich Bilder in Salazars Kopf.
Inmitten einer magisch blutigen Schlacht lieferten sich ein scheußliches Wesen, einem Menschen ähnlich und ein junger Zauberer einen Kampf, ein Duell ohne Grenzen mit Zauberstäben. Die Hände wurden nicht benutzt. Beide kämpften verbittert, ohne Unterlass, ohne Hemmungen schleuderten sie die verschiedensten Flüche aufeinander. Das ging so weiter, bis sie vor Erschöpfung gleichzeitig fielen, während die anderen schon längst am Boden lagen. Salazar sah den Gevater, der schon lange dort gestanden und sie beobachtet hatte.
Ein Lufthauch ließ Salazar aus seiner Trance wieder hochfahren. Der Gevater Tod hatte seine Sense geschwungen, die Seele des jungen Zauberers glitt in silberartigem Nebel aus ihm heraus und wurde zu einer Wolke, die gen Himmel schwebte.