The Vision of my Version
Das zweite Buch

13.
Genius, Logikus und Einfalt

An der Küste von England lag ein kleines Fischerdorf. Es war verlassen, denn die Fische wollten und wollten einfach nicht beißen.
Aber es gab dort einen Jungen, der nicht wusste, wer seine Eltern waren. Er hatte sich auch ehrlich gesagt nie darum gekümmert. Es war, als hätte das Meer selbst ihn großgezogen, denn manchmal hörte er diese Stimmen, die aus den Gewässern kamen ... und abends, wenn er mal nicht einschlafen konnte, war das Rauschen der Wellen wie ein Wiegenlied für ihn.
Und das Beste: Bei ihm bissen die Fische immer an!
An einem Abend, nach einem weiterem üppigen Fischfang am Morgen, klopfte es an der Tür der zugigen Hütte.
Der silberblonde Fischerjunge - dessen Feuer schon eine Stunde brannte - musste nicht raten, wer da draußen war. Immer, wenn die Netze draußen zum Trocknen hangen, kam sein älterer Freund vorbei.
"Komm rein, Halem!" rief er - die Freude in seiner Stimme war nicht zu überhören. "Die Fische warten schon auf dich!"
Die Tür öffnete sich und da stand er, groß und schlank, blass und dunkelhaarig.
"War das eine Einladung, Morgan?" fragte er grinsend.
Für sein düsteres Erscheinen, einem Trauerndem gleich, hatte er immer ein sehr lockeres Gemüt. Morgan hatte ein makelloses und junges Gesicht, aber das Gesicht von Halem war von den ersten Bartstoppeln besprenkelt worden.
"Was denn sonst?" kam von dem Jüngeren und reichte ihm einen bereits fertigen, aufgespießten Fisch.
Wie sie da so saßen und aßen, fragte Morgan mit vollem Mund. "Sag mal, wie geht's eigentlich deinem Bruder?"
"Ich hab nichts von ihm gehört, nachdem er einfach abgehauen ist. Ich vermute mal, er ist mit seinen Freunden aufs Festland unterwegs ..."
"Du meinst, er will zum Blocksberg?" kaute Morgan.
"Ich vermute es mal." Sagte Halem. Man merkte genau, dass er bessere Manieren und ein würdevolleres Verhalten hatte - zumindest sprach er nicht mit vollem Mund!
Diese beiden jungen Männer hätten nicht gegenteiliger sein können - wie Licht und Schatten.
Wie hatten die beiden sich eigentlich kennengelernt?

Damals war das Fischerdorf noch nicht verlassen gewesen. Die Fische bissen bei jedem, der die Angel auswarf oder verfingen sich in jedem Netz.
Das war vor fünf Jahren, als der junge Morgan, der seine Zehn erreichte, das erste mal die Netze auswarf. Bisher hatte er sich mit Betteln durchgeschlagen ... aber er hatte die Fischer heimlich dabei beobachtet, wie sie Netze auswarfen und sie herstellten, wie sie Angelruten bauten und die Köder gebrauchten. Das gab ihm den Einfall, es auch mal zu versuchen.
Die alten Fischer lachten ihn aus.
Klar, was sollte so ein junger Spunt auch mit einem Netz anfangen. Er stellte sich sichtlich ziemlich blöd an dabei, so dass niemand damit gerechnet hatte, was bereits nach einer Stunde geschah.
Der Rest der Fischernetze war leer; Morgans Netz war randvoll.
Es war so voll, dass es den anderen Fischern natürlich nicht unbemerkt blieb.
Hasserfüllte Blicke waren auf den unscheinbaren Jungen gerichtet.
"Du hast unsere Fische gestohlen!", "Dieb, verlogener!", "Fang sie gefälligst selber, am besten weit weg! Damit du ja nicht auf falsche Gedanken kommst!"
Morgan stand nur ganz still da, völlig verblüfft von der angeblichen Qualität seines Netzes.
Man wollte ihm seine Fänge entreißen, die sowieso zu schwer für den recht schlanken Körper des Jungen waren.
"Heh da! Lasst ihn in Ruhe!" rief jemand. Doch dieser jemand wurde ignoriert.
Was darauf geschah, vertrieb die meisten Fischer aus dem Dorf. Der Sand des Strandes gab unter den Füßen der Männer nach und einer wurde sogar ganz von ihm verschluckt - vom Strandboden verschluckt sozusagen.
Die anderen mühten sich nicht einmal, ihm zu helfen und rannten um ihr Leben.
Als Morgan zu dem Unbekannten sah, war er noch blasser, als er sowieso schon war.
"Brauchst du Hilfe?" kam die Frage, wenn auch recht unsicher. Im Grunde hatte er ihm schon geholfen.
Morgan blinzelte verwirrt und der andere hob die Augenbraue. "Hast du deine Zunge verschluckt?"
Morgan starrte ihn immernoch an.
"Hallo ...?" Der Fremde wedelte mit der Hand vor ihm, worauf Morgan zusammenzuckte. "Ich rede mit dir!"
"Achso ..." sagte Morgan lahm und noch völlig überwältigt von dem Ereignis. "... mit mir."
"Mit wem sonst?"
Morgan sah sich um. "Ja ... stimmt ... mit wem sonst." Murmelte er belämmert.
Beide tauschten einen merkwürdigen Blick, die tiefblauen Augen trafen auf rabenschwarze Tunnel.
War da nicht Schalk in den Augen des anderen? Freude ...?
Sie begannen langsam zu grinsen ... und lachten kurz darauf.
Übrigens, der Fischer, der vom Sand verschluckt wurde ... den fand Morgan eine Woche später am Meeresufer wieder. Er wollte ihm aufhelfen, aber auch er rannte davon.
Seitdem hatte Morgan es sehr friedlich an der Küste Englands und es war auch nicht mal einsam, denn sein Retter - Halem natürlich, wer sonst? - schaute gerne mal vorbei.
Bald erfuhr Morgan auch, warum dieses kleine Wunder mit dem Treibsand geschehen war.
Er nahm es so gelassen hin, weil er einfach wusste, dass er genau wie Halem etwas Besonderes war.
Denn Halem war der Sohn eines begabten Zauberers.

Morgan ließ Halem gern in seiner Hütte übernachten, wenn dieser mal wieder Krach mit der Familie hatte. Sein Vater wollte ihn unterrichten, in allenmöglichen Zauberkunststücken.
Nur die Sache hatte einen Haken: Halem wollte nicht; er wollte alleine lernen.
Zudem war sein Vater sehr streng und deswegen konnte er auch seinen Bruder verstehen, der in Richtung Blocksberg auf und davon war.
Der Sturm tobte an diesem Abend draußen, aber die Hütte war warm, da Morgan von seinem älteren Freund gelernt hatte, wie man auch ohne Magie Feuer entzündet. Halem leistete ihm wieder Gesellschaft.
"Halem ... hälst du es für möglich, dass ich auch ein Zauberer bin?" fragte Morgan.
"´türlich?" meinte Halem. "Es ist alles da, was du brauchst. Denk an deinen glorreichen Fischfang von vor ein paar Jahren."
"Aber seitdem kam gar nichts mehr ..." Besorgt senkte Morgan den Kopf. "Ich werde wohl nie solche Dinge können, wie du."
"Sei nicht albern ... ich kann auch nicht viel. Außerdem geschieht bei mir alles aus dem Bauch heraus, weißt du? Wahrscheinlich habe ich ein Gefühl dafür, weil ich bereits in einer Familie aus Zauberern aufgewachsen bin. Ich kann ja nicht mal ... das kleine Hexeneinmaleins ..."
Das war nur so dahingesagt, denn Halem hatte keine Ahnung, was das kleine Hexeneinmaleins war.

So war es ein großes Glück, was die beiden hatten, als sich zwei Reisende durch den feuchten Sturm die Küste entlangwagten.
"Warum sind wir so weit vom Weg ab, Salazar?" fragte Patrick laut, um die Wellen zu übertönen.
Sein Onkel ging schnurstrags auf das Fischerdorf zu, dessen Hütten ziemlich verfallen und verrottet wirkten.
"Wir umgehen ein bisschen die bevölkerten Dörfer. Hast du gehört, was sie in der letzten Siedlung gesagt haben? Dass dieses Fischerdorf hier verflucht sein soll ... dementsprechend auch verlassen."
Patrick stutzte. "Du meinst, du willst hier die Nacht verbringen?"
"Warum nicht?"
"Ist es dazu nicht ein bisschen feucht?!" schluckte sein Neffe.
Salazar zeigte nur ein amüsiertes Lächeln, deutete dann auf eine erleuchtete Fischerhütte.
"Da! Siehst du? Da wird es trocken sein ..."
Und bevor sein Neffe etwas einwenden konnte, ging er weiter.
"Mein Großvater sagte einmal ..."
Geht das schon wieder los, dachte Patrick und verdrehte die Augen.
"... sobald du von Muggeln hörst, dass ein Ort verflucht sei, kann nur ein simpler Zauber dahinterstecken oder gar ein Missverständnis. Die wirklich Mächtigen von uns verbergen sich viel zu gut."
Patrick machte ein unzufriedenes Gesicht, hatte aber keine andere Wahl und folgte - wenn auch deutlich langsamer ... Hatten die Muggel in Gwynedd gespürt, dass er anders war? Ein simpel gestrickter Zauberer, der nur Taschenspielertricks konnte?
Salazar klopfte an die Tür ...

Morgan und Halem sahen von ihren Fischgräten auf.
"Der Wind?" schätzte Halem, nachdem sie fragende Blicke ausgetauscht hatten.
"Bestimmt." Sagte Morgan und zuckte mit den Schultern.
Es klopfte wieder.
Morgan zögerte, dann stand er auf. Vorsichtig öffnete er die Tür.
"Entschuldigt." Sagte der ältere Mann. "Die Nacht scheint sehr stürmisch zu werden und wir suchen immernoch nach einer Unterkunft. Wäre es wohl möglich, wenn mein Neffe und ich Euch Gesellschaft leisten dürften. Nur heute ..." fügte er hinzu.
Der ältere Mann wurde skeptisch gemustert. Er war in ein merkwürdiges Gewand gekleidet, was vielleicht in Richtung Druidenrobe gehen könnte, wüsste Morgan nicht genau, dass diese Männer kein Schwarz tragen.
Der Fremde trug einen langen Bart und einen seitlich gebundenen Zopf, der auf seiner Schulter lag.
Bei dem Wort Neffe bemerkte Morgan erst den Jungen, der dahinterstand. Er sah dem Mann vielleicht ein wenig ähnlich. Sein Haar war aber heller, seine Haut eine Spur dunkler.
Und er war weitaus ärmlicher gekleidet.
"Ihr seid hier Fremde ...?" fragte er. "Es kommt nicht vor, dass man sich ausgerechnet hier nach einer Unterkunft erkundigt." Dabei blickte er vielsagend auf die heruntergekommenen, verlassenen Hütten.
Halem versuchte derweilen einen Blick auf die Fremden zu erhaschen.
"Wir reisen nicht gern durch Dörfer." Sagte Salazar. "Wir haben gehört, dass Reisende hier nicht gern gesehen sind."
"Reisende werden immer mit Vorsicht beobachtet, das stimmt." Morgan dachte nach, ob er ihnen trauen konnte. Doch was konnten sie ihm schon nehmen???
Schließlich nickte er und trat zur Seite.
"Ich habe bereits Besuch ... aber ich kann noch ein paar Fische holen und braten, solltet ihr Hunger haben." Morgan machte eine einladende Geste in Richtung Halem und der Feuerstelle.
"Das ist sehr großzügig." Sagte Salazar. "Gerne würden wir noch was zu uns nehmen ... was meinst du, Patrick?"
Patrick nickte, bekam jedoch ein sehr schlechtes Gewissen bei dem Anblick dieser Hütte. Er fragte sich, warum sie noch nicht längst zusammengefallen war, wie die anderen, die sie gesehen hatten.

Halem hatte die beiden nicht aus den Augen gelassen, seitdem sie eingetreten waren.
Morgan holte inzwischen die Fische und der Ältere schien irgendwas in Halems Gedächtnis zu regen, bis dieser ihm direkt in die Augen sah.
Er musste schlucken. Schlangenaugen ...
Sein Vater hatte ihm von der Zaubererfamilie mit den Schlangenaugen erzählt ... die Slytherins, die Totengräber, die in letzter Zeit vom Pech verfolgt wurden.
"Ihr seid ..."
Salazar stutzte.
"... einer aus der Slytherinfamilie, nicht wahr?"
Patrick blickte überrascht zwischen den beiden hin und her und sein Onkel war nicht minder verwundert.
"Woher weißt du das?" fragte Salazar.
"Eure Augen ..." erzählte Halem. "Die sind berühmt. Eure tragische Geschichte ist berühmt."
"So etwas spricht sich rum ...?"
Salazar hatte sich nicht daran erinnern können, jemals andere Kontakte zu Hexen und zu Zauberern gehabt zu haben, als zu seiner Familie. Oder er war zu sehr mit Spielen beschäftigt gewesen.
"Doch doch!" sagte Halem. "Das Gerücht geht sogar, dass ihr, die Slytherins, ganz verschwunden seid."
Salazar seufzte. "Meine Neffe und ich sind auch die Letzten. Ich wüsste nicht, wer noch mit mir verwandt sein sollte."
Patrick blickte in die kleinen Flammen. Er wollte nicht mehr zuhören und an seine Familie denken. Er dachte so viel lieber an die Zukunft - es konnte ja nur besser werden!
Morgan trat ein, hatte gleich eindutzend Fische dabei.
"Ich weiß aber nicht, wo ich jetzt noch was zu Trinken herbekommen soll. Die Regentonne draußen muss sich noch auffüllen."
Er setzte sich zu ihnen und spießte das Abendessen auf.
"Das wird kein Problem sein." Sagte Salazar und wandte sich an Patrick. "Ich habe dir doch bereits diesen kleinen nützlichen Zauberspruch für Wanderungen beigebracht."
Patrick reagierte nicht.
Salazar räusperte sich und stuppste ihn sachte an.
"Häh?" Patrick erschrak ein wenig und sah zu seinem Onkel.
"Der Zauberspruch!" sagte Salazar.
"Achso ..." Patrick zögerte. "Ehm ... welcher?"
Doch bevor Salazar irgendetwas sagen konnte, starrte Morgan die beiden an.
"Zauberspruch?"

Zu dieser Situation muss ich sagen, dass Patrick einfach schon ziemlich alt war, um bei Zauberei und Hexerei noch einmal bei Null anzufangen. In seinem Alter wünschte man sich meistens, man hätte alles, wie geplant, schon hinter sich.
Zu Halem und Morgan ... man ahnt es sicher schon, was aus den beiden wird. Sie leisten meinem Neffen und den Schülern meiner drei Freunde Gesellschaft.
Während ihrer Ausbildung habe ich die Verhaltensweisen von Halem, Morgan und Patrick eingehend studiert ... und ich war mir sehr sicher, als ich ihnen die Namen Genius, Logikus und Einfalt gab.
Halem besaß die Gabe des logischen Denkens.
Morgan hatte die besten kreativen Einfälle.
Und ob ihr es glaubt oder nicht, Patrick wurde das Genie.
Besser hätte Serpens nicht lernen können! Ich bin richtig stolz gewesen damals!

Der Sturm legte sich zur späten Stunde doch in den Herzen der beiden neuen Lehrlinge Salazars peitschte er die Gefühle weiterhin auf.
Sie würden auf eine Reise gehen - eine lange Reise, die bestimmt viele Abenteuer mit sich führen würde.
Patrick, Halem und Morgan lagen nebeneinander, schweigend. Patrick hatte ihnen den Rücken zugewandt, Morgan starrte gedankenverloren das Dach seiner Hütte an, die er bald zurücklassen würde und Halem hielt die Augen geschlossen.
Salazar schien bereits zu schlafen.
"Sag mal ... du heißt doch Patrick oder?" fragte Halem und öffnete die Augen.
"Ja." kam die Antwort.
"Und deine Mutter ist auch ...?"
"Sie starb vor einem Monat an Schwindsucht." Sagte Patrick.
Er erwartete ein "Das tut mir Leid.". Aber es kam nicht.
Zaghaft drehte Patrick den Kopf ein wenig zu den beiden hin.
"Meine Mutter lebt auch nicht mehr." Sagte Halem dann. "Mein Vater Baltram sagte, sie hätte es so gewollt."
Patrick stutzte. "Wie kann das angehen ... er ... er hat sie doch nicht umgebracht oder?"
"Nein ... hat er nicht. Er gibt sich sehr oft die Schuld daran, aber nein, hat er nicht. Ich weiß es. Aber er ist trotzdem ... ein unangenehmer Kerl, mein Vater. Hätte am liebsten, dass ich so schnell wie möglich das Familienerbe weiterführe."
Patrick dachte nach. "Welches Familienerbe habt ihr?"
Halem seufzte. "Meine Familie erkennt man daran, dass sie nur schwarze Umhänge trägt. Soweit ich weiß, nannte man uns früher die Schwarzrobenmagier. Das ist auch schon alles. Ich weiß aber nicht, weswegen ..."
"Schwarze Magie?" Morgan fiel in die Unterhaltung mit ein. "Das habe ich dich damals schon gefragt."
"Wer weiß." Sagte Halem. Ihm schien das Thema nicht zu behagen.
"Wenn das so ist, musst du das Erbe doch nicht entgegennehmen. Gerade jetzt, wo du durch meinen Onkel so eine große Chance bekommst."
Halem blickte zu Patrick.
"Salazar sagte, dass dieser Godric einmal ein Bauer gewesen sei. Und trotzdem scheint er ihn heute bei Nahe schon zu übertrumpfen. Er wird uns auch Unterricht geben. Es spielt also keine Rolle, aus was für einer Familie du kommst. Du kannst dein Schicksal selbst in die Hand nehmen."
Die drei diskutierten noch die ganze Nacht über ihre Zukunft.
Salazar lächelte bei geschlossenen Augen.
Eine große Chance ... das ehrt mich Patrick, dachte er.

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