The Vision of my Version
Das zweite Buch

12.
Sturmkrähen

Der Zigeunerwagen polterte über die Landstraßen Englands ... und jeder, der ihm im Weg stand, konnte ihm gerade noch ausweichen.
Die Wanderer, die diesen Wagen gesehen hatten, glaubten, dass die alte Kelten-Königin Boadicea von dem Kutscher Besitz ergriffen hatte. Aber was sie nicht wussten, war, dass der Kutscher tatsächlich eine Kutscherin war, die es sehr eilig hatte.
Die vermummte Roweana lächelte in sich hinein. Sie spürte den kühlen Fahrtwind, der ihr entgegenpeitschte. Fast so spannend, als wenn sie durch die Lüfte fliegen würde.
Sie würde jemand ganz besonderen nach Hogwarts bringen ...

Am Hofe des Königs Aethelred und seiner Gemahlin Aelfgifu herrschte ein buntes Treiben. Gaukler hatten sich inmitten der feinen Gesellschaft versammelt und taten ihr Bestes, dem Adel zu gefallen. Vor allem ein Mädchen mit kastanienbraunem Haar und Sommersprossen fiel auf, das kleine Zaubertricks vollführte.
"Avis!" sagte sie und sie ließ Vögel aus dem Nichts erscheinen. Der eine - ein besonders hübscher und exotischer - flatterte auf die Hand der Königin. Diese lächelte sanft und blickte den Vogel mit warmen Augen entgegen.
"Ein Geschenk für euch, Majestät!" sagte das Mädchen. "Er wird bei euch bleiben, solange ihr ihn nicht in einen Käfig steckt." Darauf verneigte sie sich.
Es gab großen Applaus und die Königin dankte es ihr.
Ihr Sohn Edmund trat neugierig näher. Er hatte magische Begabung, nur war er schlau genug, es niemandem zu verraten. Er war jetzt bald zehn Jahre alt.
Niemand bemerkte, wie Roweana in den Saal schlich. Sie hatte das Mädchen mit den Kastanienhaaren gesehen ...
Die kann alleine lernen, dachte sie. Wer so leichtfertig ein Lebewesen - noch dazu einen Vogel - herbeizaubert, ohne darüber nachzudenken, den will ich nicht.
Ihr Augenmerk war eher auf den jungen Prinzen gerichtet, der den kleinen Vogel nun ebenfalls betrachtete.
Sie lächelte schief und verkniff sich den Gedanken, den Vogel in eine Krähe zu verwandeln.
Als die Gaukler ihre Vorstellung beendeten und der König als erster einen Biss in seine Hähnchenkeule riskierte, trat sie vor. Ihr langer Umhang und ihr Kleid waren der momentanen Situation angemessen, edel und mit bronzenen Verzierungen versehen und an ihrem Haareif glänzte ein Bernstein. Darin war ein kleines Insekt eingeschlossen, was längst ausgestorben war, aber niemand erkannte es vom Weiten.
Alles in allem sah sie aus, wie eine Adlige - in diesem Fall eine Unbekannte. Aber niemand traute sich, sich dieser unglaublich bildschönen Frau zu nähern ...
Jemand räusperte sich, da sie sich nicht angekündigt hatte und der König immernoch sein Hähnchen verspeisen wollte, aber er senkte das Fleisch und betrachtete die unerkannte Hexe mit nachdenklichen Blick.
"Was für ein hübscher Überaschungsgast ... Wie ist Euer Name, Mylady?" fragte er.
"Ich denke nicht, dass euch mein Name ein Begriff sein wird, Sire." Sagte sie und lächelte zuckersüß. Es schien ihm zu imponieren und seine Gemahlin betrachtete ihn besorgt.
"Ich bin nur hier, um euch zu unterhalten."
Und nach diesen Worten warf sie sich den Umhang von den Schultern und begann zu tanzen, zu einer Musik, die aus dem Nichts hervorkam. Darauf malte sie Bilder in die Luft, die leuchteten und Geschichten erzählten - besonders von den ach so glorreichen Taten des Königs. Sie verlieh der alten Amme des Königs ein junges Gesicht, natürlich nur um zu beeindrucken. Letztendlich verwandelte sie eine Blume in ein Schwert und reichte es dem kleinen Prinzen zum Geschenk. Das waren nur ein paar der magischen Dinge, die Roweana auf diesem Bankett vollbrachte. Sie ging sehr großzügig mit ihrer Magie um.
Als der Prinz das Schwert entgegennahm, betrachtete er es nachdenklich und Roweana verneigte sich vor ihrem Publikum.
Der Applaus war groß, schallend, ohrenbetäubend ...; der König schien am lautesten zu sein.
Als der Jubel sich wieder gelegt hatte, sprach er:
"Ich weiß zwar nicht, wer Ihr seid ... aber wenn Ihr uns etwas Böses wolltet, so hättet Ihr es schon längst tun können. Mylady, Ihr seid eine sehr begabte Zauberin! Erlaubt mir, Euch ein Gönner zu sein und Euch für diese Nacht auf meiner Burg beherbergen zu dürfen."
"Roweana Ravenclaw, Sire ..." stellte sie sich nun endlich vor und neigte den Kopf. Aus den Augenwinkeln sah sie den jungen Prinzen an, der sofort aufhörte, mit dem Schwert zu spielen. "Und wie gesagt: Ich bin nur hier, um Euch zu unterhalten."

Ein Sturm war aufgezogen und viele Krähen hatten sich über der Burg versammelt und umkreisten sie. Der Adel, der noch prunkvoll feierte, beachtete die Dunkelheit jedoch nicht, war blind für die Naturereignisse. Die wundersame Hexe Lady Ravenclaw war natürlich das Thema Nummer eins an diesem Abend!
Der König hatte der Zofe seiner Gemahlin aufgetragen, Roweana ein Gemach zuzuweisen.
Und als die Zofe Roweana in dem prächtig ausgeschmückten Zimmer, mit warmen, weinroten Wandbehängen alleine ließ, grinste diese und warf sich in das weiche Himmelbett.
Schon besser, dachte sie. Sie war das kleine Bett in ihrem Zigeunerwagen mehr als Leid.
Sie legte den Kopf auf das weiche Kissen und dachte an Hogwarts. Hat es mich also doch zu sehr verwöhnt, dachte sie und tadelte sich selbst - wenn auch nur aus Spaß.
Sie blickte zum Fenster und sah ihre Freunde, die ihr gefolgt waren.
Die Sturmkrähen, ein Meer aus schwarzen Flügeln.
Sie stand auf, schloss die Augen und lauschte deren Musik ... sofern man dieses Krächzen als sowas bezeichnen konnte.
Am Fenster angelangt, landete eine der Sturmkrähen neben ihr.
Ihr Rabe ... ihr Auge zur Außenwelt.
Wie aus alter Gewohnheit strich sie ihm übers Gefieder.
Die Bilder formten sich in ihrem Kopf ... Godric hatte seine ersten Schüler gefunden, war auf dem Blocksberg ... und hatte, statt des Feuermeisters, das Feuer der Walpurgisnacht entfacht.
"Es war ein Fehler, so schnell zu wählen." Schloss sie laut daraus und deutete für den Raben zu einer toten Maus, die es gewagt hatte, ihr Gemach zu betreten. Da Raben ja nunmal Aasfresser sind, bediente er sich mit Freuden.
Währenddessen stand sie nachdenklich auf und ging ihr Zimmer auf und ab.
Doch ihre Wahl war getroffen ... sie musste ihn loswerden, keine Frage, wenn sie etwas Mächtigeres an ihrer Seite haben wollte.
Was also waren die Schwächen ihres Problems? Sie wusste sie sofort, ohne groß darüber nachzudenken. Mord war doch bereits im Spiel gewesen ... und niemand vermag so ein Trauma zu heilen.
Sie grinste ... Plötzlich kopfte es und sie fiel aus ihren Gedanken.
"Herein." Sagte sie, ein bisschen schrill und räusperte sich.
Die Tür öffnete sich und der kleine Prinz stand da.
"Ihr wolltet mich sehen, Lady Ravenclaw?" fragte er.
"Ja, doch ..." sie schmunzelte. Er schwieg, schaute nur fragend drein und ließ sich nicht von ihrem Lächeln anstecken.
"Komm näher ..." sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen. Er trat auf sie zu und nahm sie unsicher. Ihr Blick gefiel ihm nicht, aber dennoch hatte man ihn nie zuvor so angesehen ...
"Du weißt, mein Lieber ..." sie streichelte über seine Handlinien. "In dir herrscht eine ganz bestimmte Macht ..."
Er zog sie sofort zurück. "Woher wisst ... nein, das stimmt doch gar nicht!"
"Nicht so schüchtern ... ich verpetze doch niemanden. Du kannst mir vertrauen." Sie behielt ihn im Auge, wie ein Raubvogel seine Beute.
"Du hast schon mal ein kleines Wunder gesehen, ein oder zwei ... oder vielleicht auch zehn oder zwanzig ...?" Sie lachte leise und überlegen. "Vielleicht auch welche, für die du verantwortlich bist ..."
Ohne auf irgendeinen Widerspruch zu warten, fragte sie. "Was würdest du von ein paar Unterrichtsstunden halten? Für ein paar Tage fort aus dieser Burg zu sein, ich meine gehört zu haben, dass du nicht oft nach draußen gehst ..."
Prinz Edmund zögerte. "Mein Vater ..."
"... wird einwilligen, wenn du mit mir fortgehst! Das versichere ich dir. Die einzige, die du trösten müsstest, ist deine Mutter. Ich glaube, sie mag mich nicht besonders, verstehst du?"
"Ich lerne nicht gern ..." meinte er.
"Das wird sich ändern ... ich weiß es." Roweana grinste wieder. Sie spürte seinen Wissensdurst, der sich in den Tiefen seines Kopfes verbarg und dieses Kitzeln in seinem Magen verbreitete. Er hatte bisher einfach nur den falschen Lehrer gehabt ...
Es dauerte eine Weile, bis er sich letztendlich doch überreden ließ.

Wie erwartet, war der König ganz überwältigt und begeistert von dieser Idee.
"Gut, dass Ihr es erkannt habt, Mylady. Wer weiß, was passiert wäre, würde er nicht mehr wissen, wohin mit seinem Talent. Es hätte ja sonst was passieren können ..."
Die Königin jedoch wirkte blass und Edmund nahm sie in den Arm.
"Mutter ... ich bin nicht für immer fort." Sagte er und strich ihr über das lange Haar. Die Tränen flossen und waren fortan nicht mehr aufzuhalten. Edmund seufzte und wandte sich um, zum Gehen.
Im Herzen der Königin sah jedoch alles ganz anders aus. Als würde eine fremde Macht ihrem Körper befehlen, still zu sein! Ihr Gemahl hätte ihren Jungen doch niemals fortgelassen ...
Wut und Verzweiflung trommelten gegen die Tür in ihrer Brust.

Als Roweana beobachtete, wie die Diener des Königs das zahlreiche Gepäck des Prinzen verstauen ließ - er selbst saß bereits in der Kutsche - kam ein Mädchen auf sie zugerannt.
Es war das Mädchen mit den kastanienbraunen Haaren, was am Vorabend noch mit den Gauklern zusammen auftrat.
"Nehmt mich mit, Lady Ravenclaw!" rief sie. "Ich bin ebenso gewillt, zu lernen!"
Roweana jedoch würdigte sie keines Blickes. "Was ist schon ein kleines Balg, was sich mit Gauklern herumtreibt ... vor allem dann, wenn es ein Mädchen ist."
Das Mädchen erstarrte.
Die Hexe wandte sich um, sah zu ihr von der Stufe der Kutsche herab.
"Mädchen sind nichts wert ... nicht, wenn sie von deinem Stand sind. Wärest du allerdings ein Junge ..." sie überlegte. "... dann hätte ich es mir vielleicht noch überlegt!"
Mit diesen Worten setzte Roweana sich auf den Kutschbock.
Nichts wert ...?, dachte das Mädchen.

Salazar betrat mit Patrick sein altes Zuhause unter dem Sumpf. Die Irrlichter waren verschwunden, die Totenlilien erloschen und die Laichen häuften sich in den Schlammräumen. Salazar ersparte seinem Neffen Letzteres jedoch und beschwor mit seiner Magie erneut die Irrlichter herauf.
Patrick war fasziniert. Der Ort war dunkel ... aber aufregend und spannend. Wieso hatte seine Mutter ihm niemals von diesem Ort erzählt?
"Weil er nicht deine Bestimmung war." Sagte Salazar. "Zwar kannst du die Schlangensprache, aber deine Augen sind nicht die Augen einer Schlange. Du hättest das Erbe niemals auf deinen Schultern tragen können, auch dein Vater nicht."
"Dafür hatte er Mutter!" wandte Patrick ein und Salazar grinste.
"Ja, dafür hatte er deine Mutter. Das stimmt ..."
Salazar sah sich um. Ein paar Aufzeichnungen waren immernoch sicher versteckt und er überlegte, ob er sie mit nach Hogwarts nehmen sollte.
"Salazar ...?"
"Hm?"
"Wer ist oder war eigentlich mein Großvater? Dass dein Großvater hier lebte, weiß ich ... aber der Vater von meinem, und dir ...?"
"Hmmm ..." Salazar stutzte, dann rieb er sich nachdenklich die Stirn. Eine merkwürdige Erkenntnis machte sich breit. "Seltsam ... darüber habe ich eigentlich niemals nachgedacht."

 

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